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17. November 2019

800.000 € Schmerzensgeld für schwerste Gehirnschädigung

Niedrigzinsphase als zutreffendes Argument für höhere Schmerzensgeldbeträge. Landgericht Gießen, Urteil vom 7.11.2019 – 5 O 376/18

In dem Fall ging es um einen damals 17 Jahre jungen Mann, der sich 2013 beim Fußballspielen einen einfachen Nasenbeinbruch zugezogen hatte. Deshalb begab er sich mit seinen Eltern ins Uni-Klinikum Gießen-Marburg (UKGM) und wurde dort operiert, - eine OP die normalerweise ca. 15 Minuten dauert. Doch während der Vollnarkose kam es zu einer etwa 25 Minuten währenden Sauerstoffunterversorgung, weil die Schläuche des verwendeten Beatmungsgeräts fehlerhaft angeschlossen worden waren, so das LG Gießen. Hierdurch erlitt der junge Mann eine extrem schwere Gehirnschädigung und muss seither rund um die Uhr betreut und gepeflegt werden.

Zur Begründung für dieses – bislang höchste – Schmerzensgeld in vergleichbaren Fällen verwies das Gericht zum einen auf die schlimmen Folgen für den heute 23jährigen Mann an, der zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr in der Lage und seine Persönlichkeit eingebüßt habe, so das LG Gießen. Zudem verwies das Gericht auf dessen jugendliches Alter und darauf, dass die Hirnschädigung aus einer fehlerhaften Bedienung des Beatmungsgeräts und damit aus dem Bereich eines voll beherrschbaren Risikos resultieren.

Und schließlich führte das LG Gießen noch ein Argument an, welches heute noch viel zu selten berücksichtigt wird, jedoch außerordentlich relevant ist:

Die extreme Niedrigzinsphase, die – dank des unverantwortlichen Handelns der EZB und der dort und in der Finanzpolitik agierenden ehemaligen Investmentbanker (alle von Goldman Sachs) Mario Draghi, Mario Monti, Mark Carney, J. Manuel Barroso, Paul Achleitner und viele mehr) nun schon 10 Jahre anhält und sich mit höchster Wahrscheinlichkeit auch nochmals so lange hinziehen wird. Erhielt zuvor ein Schwerverletzter (m/w/d), dem beispielsweise 500.000 € Schmerzensgeld zuerkannt worden waren jährlich aus Zinsen (z.B. bei 5%) 25.000 € und somit monatlich gut 2.000 €, die für eine – soweit überhaupt möglich – Verbesserung seiner Lebenssituation (Ausgleichfunktion des Schmerzensgeldes) verwendet werden konnten, so zahlt er heute einen Strafzins oder wird – insbesondere von Volksbanken und Sparkassen meist mit 0,1 % (jährlich 500 € bzw. monatlich 41,66 €) oder gar noch weniger abgespeist.

Insofern ist es außerordentlich zu begrüßen, dass sowohl der den Geschädigten und dessen Familie vertretende Kollege als auch das Landgericht Gießen diesen Aspekt aufgegriffen und in seine Urteilsbegründung einbezogen hat.

Fazit: Mit diesem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil setzte das LG Gießen einen Fuß voran in eine Richtung und auf einen Weg, der noch lange nicht am Ziel angelangt ist: Deutlich höhere Schmerzensgeldbeträge in derartigen und ähnlichen Fällen, - der Betrag von 1.000.000 € darf dabei keine Hemmschwelle sein!

Mehr zu diesem Thema finden Sie unter der Randnummer 268 (Seite 129 ff) in meinem soeben in 16. Auflage erschienen Buch Schmerzensgeld 2020 – Handbuch und Tabellen, Verlag C.H. Beck. ISBN 978-3-406-73985-9.

Andreas Slizyk

Rechtsanwalt

 

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